Es ist grundsätzlich eine wahre Freude, dass endlich eine große Kunstausstellung zur Op Art in der Frankfurter Schirn veranstaltet wird. Parallel wird in Düren am 25.02.2007 eine Ausstellung zu den "Neuen Tendenzen" gezeigt, die zuvor in Ingolstadt im Museum für Konkrete Kunst zu sehen war. Allerdings verwundert bei der Ausstellungskonzeption in Frankfurt und bei der Lektüre der von Dr. Martina Weinhart, Frances Follin und Claus Pias verfassten Katalogtexte die freiwillige Verwendung von kunsthistorischen Scheuklappen: Völlig im Unklaren bleibt der Besucher über die möglichen Ursprünge der Op Art. Erfreulich wäre es gewesen, wenn diese Ausstellung auch einen wissenschaftlichen und somit geistig erhellenden Fokus auf die Ursprünge der Op Art geworfen hätte. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, wer der eigentliche Vater der Op Art und anfänglich der Begründer der Idee optischer Kunst war; eine Fragestellung die in ihren Grundsätzen schwierig zu beantworten ist, da ja, wie Josef Albers richtig bemerkte, alle Kunst optisch sei. In Frankfurt wird suggeriert, Vasarely sei der Vater der Op Art. Gerne zitiert wird ein Artikel aus dem Time Magazine aus dem Jahr 1964, der nach aktuellem Forschungstand den Begriff Op Art zum ersten Mal verwendet. Das wiederholte Beziehen auf diesen Artikel bringt jedoch keine neuen Erkenntnisse zu Tage. Zudem wäre es bedauerlich, wenn „Magazine“ wie Times oder vielleicht zukünftig „Vanity Fair“ kunsthistorische Deutungshoheit gewönnen. Ein Blick über diese vielzitierte Quelle hinaus wäre für die Kuratoren in Frankfurt ratsam gewesen, wenngleich es sich hierbei teilweise um Zeitungsberichte handelt: Am 4. April 1965 schrieb Grace Glueck in der New York Times über einen der möglichen Väter der Op Art, den polnischen Künstler Henryk Berlewi (1894-1967), der 1924 in Herwarth Waldens Der STURM präsentiert wurde: „A critic, graphic designer and pioneer abstractionist, Berlewi is not exactly new to “optical” art”. Berlewi wird weder im Katalog der Ausstellung erwähnt, noch findet sich eine Arbeit von ihm in Frankfurt. Und am 19. Januar 1966 erschien in der FAZ ein Artikel, der den Titel „Begegnung mit Vater der Op Art“ trägt: „Die Amerikaner haben mit dem Polen (Anm. Henryk Berlewi) eine große Überraschung erlebt. Sie starteten im Februar 1965 im Museum of Modern Art in New York eine Wanderausstellung „Responsive Eye“ mit Arbeiten der Op Art, als deren erfolgreichster Exponent heute der Ungar Victor Vasarely gepriesen wird. Berlewi fuhr nach New York und zeigte den Amerikanern, dass er schon 1922 so gemalt habe. 1923 schuf er das „Mechano-Faktur- Element Weiß auf Schwarz“, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit Vasarelys perforierten Rechtecken und Quadraten aufweist, mit dem Unterschied freilich, dass Berlewi damit zuerst angefangen hat“. Auch Will Grohmann schreibt vermutlich wenige Tage vor der Veröffentlichung des Artikels im Time Magazine anlässlich einer Berlewi-Retrospektive in Berlin 1964 über die 1923 von Henryk Berlewi geschaffene Arbeit: Mechano-Faktur: „Schwarzes Rechteck, darüber ein weißes mit schwarzen Punkten, oder ein schwarzes Rechteck, darüber ein schwarzes mit weißen Punkten: Bewegung, Kinetik, Vibration, das unerklärliche als Ereignis, aber auch als Gleichnis (»Elemente der Mechano-Faktur « 1923)“. Die hier genannte Arbeit wurde bereits 1924 in Herwarth Waldens "Der STURM" ausgestellt. Folglich liegen gerade mal 40 Jahre zwischen „STURM“ und Time Artikel und gar nur 30 Jahre zwischen Berlewis Mechano-Faktur und den in Frankfurt gezeigten Arbeiten von Vasarely; für die − Jahrtausende umfassende − Kunstgeschichte mit Sicherheit eine geradezu lächerliche Zeitspanne, umso bedauerlicher, dass bis heute der Einzug ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Arbeiten von Henryk Berlewi renommierte Kunsthistoriker zu überfordern scheint. Henryk Berlewi formulierte damals in seinem Essay Mechano-Faktur für „Der STURM, / Drittes Vierteljahrheft“: Die Kunst muß mit allen Angewohnheiten der parfümierten, perversen, überempfindlichen, hysterischen, romantischen, boudoirmäßigen, individualistischen Kunst von gestern brechen. Sie muß eine neue Formsprache schaffen, die für alle zugänglich ist und im Einklang mit dem Rhythmus des Lebens steht.“ Kann man Op Art präziser beschreiben? Vielleicht hätte den Autoren auch ein Blick in die Berlinische Allgemeine vom 29. April 1964 die Augen geöffnet. Darin schreibt Joachim March unter der Überschrift „Vorläufer und Nachläufer:“ „Glücklicherweise lässt sich geistiges Erstgeburtsrecht auf die Dauer nicht verheimlichen: Eine Reihe deutscher Kunstkritiker und –wissenschaftler hat damit begonnen, jenes falsche Bild zu korrigieren. Günter Pfeiffer hatte bereits 1961 in seiner Besprechung der Beliner „Sturm“-Ausstellung von Berlewi gesagt: „Seine Reihungen klarer grafischer Elemente zu seriellen Variationen ist die Vorwegnahme der jüngsten Bemühungen etwa bei Piene oder Vasarely“, und der bedeutende Historiker des Konstruktivismus und Lissitzky-Biograph Horst Richter schrieb 1963 von Vasarely: „Seiner darstellerischen Methode nach kann er sich als Neukonstruktivist nennen. Aber versucht doch nur, die Erfindungen der Altkonstruktivisten, etwa die Mechano-Fakturen eines Berlewi auf aktuellen Hochglanz zu bringen. Er fügte hinzu: „Vasarely ist der Typ des hochgespielten Malers, dessen schöpferische Qualitäten im umgekehrten Verhältnis zu seinem gesteuerten internationalen Renommée stehen.“ (...) Undenkbar, dass Vasarely – schon seinem Werdegang nach (Schüler von Moholy-Nagy!) – Berlewis Ideen nicht erkannt haben sollte! Wäre es eine Schande, das zuzugeben? Freilich – der Marktwert einer „Neu-Erfindung“ sinkt wenn das Original entdeckt wird.“ Die Fixierung auf einmal in die Kunstgeschichte und in den Kunstmarkt eingeführte Namen wie Vasarely mag heute Ausstellungen verhindern, die einst selbstverständlich waren. Herwarth Walden hat Berlewi gezeigt: Das Zeigen des unter Herwarth Walden existierenden imaginären Rasters bzw. dessen Wiederherstellung ist die entscheidende Aufgabe, die eine Ausstellung heute leisten muss, um neben dem Nachvollziehen der Moderne als internationale Bewegung auch wissenschaftlich klarzustellen, wer beeinflusst hat und wer beeinflusst wurde. Es bedarf einer gewissen Ignoranz oder Oberflächlichkeit, wenn man bei einer Op Art Ausstellung, diese Quellen und Fragen außer Acht lässt. Schließlich bietet nur die Forschung nach den Ursprüngen den wirklich umfassenden Blick auf diese Kunstform – ein öffentliches Museum muss diese Arbeit leisten. Es ist zu hoffen, dass die Lücken dieser Ausstellung durch neuere Forschungsarbeiten geschlossen werden und die Arbeiten von Henryk Berlewi in zukünftigen Op Art Ausstellungen selbstverständlich und kommentiert gezeigt werden. Den Machern der Ausstellung wäre zu empfehlen, zwei Werke von Berlewi aus den Jahren 1923-1924 kurzfristig mit in die Ausstellung zu integrieren und für den Katalog einen fundierten Nachtrag zu formulieren. Der Besucher und Leser kann dann selbst entscheiden, wer der Vater der Op Art war und welche Künstler von Berlewi beeinflusst wurden. Die in Frankfurt gezeigten Op Art Künstler Getulio Alviani, Heinz Mack und viele andere machen aus Ihrer Bewunderung und Anlehnung an Henryk Berlewi keinen Hehl. Für viele steht außer Frage, wer der Vater der Op Art war und ist. #
Sebastian Gaiser, Henryk Berlewi Archive
Montag, 26. Februar 2007
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