Sonntag, 16. April 2006

Henryk Berlewi, Anton Stankowski und Eckhard Neumann

In der Ausgabe der FAZ vom 15.04.2006 berichtet Thomas Wagner über die aktuelle Anton Stankowski Ausstellung in der Stuttgarter Staatsgalerie. Betritt man als Besucher den schmucklosen Vorraum, so findet sich dort Zitate von Kunsthistorikern und Designkennern, die die Bedeutung von Stankowski herausstellen, unterstreichen und dort findet man auch folgendes Zitat: „Die frühen Arbeiten von Anton Stankowski sind inzwischen ein Teil unserer Kultur- und Designgeschichte unseres Jahrhunderts, die Arbeiten der Nachkriegszeit sind lebendige Gegenwart, wir begegnen Ihnen täglich in unserer Alltagswelt“, Zitat von Eckhard Neumann, Frankfurt.

Warum wird Eckhard Neumann in dieser Ausstellung zitiert? Wenn einer die Arbeit von Anton Stankowski so deutlich einordnet und die Ausstellungsmacher es für Wert erachten, dieses Zitat gut lesbar auf einer Wand anzubringen, stellt sich doch unweigerlich die Frage: Wer ist oder war Eckhard Neumann?

Die Schriften von Eckhard Neumann sind mir im Rahmen meiner Forschungsarbeit zum polnischen Konstruktivisten, Henryk Berlewi - ein weitgehend vergessener polnischer Künstler, aufgefallen, der erst durch einen Auktionsrekord im Kunsthaus Lempertz im Herbst 2004 (Henryk Berlewi: Kontrasty Mekanofakturowe, 1924
Gouache, 83 x 109 cm) von einer vorsichtigen Taxe von EUR 5.000 – 5.500,-
auf EUR 161.000,- hochgesteigert wurde, und damit wieder ins Bewusstsein von Sammlern und Händlern rückte.

Besagter Eckhard Neumann kannte Henryk Berlewi sehr gut; vor seinem Tode hat Eckhard Neumann seine Berlewi Werke und den Schriftverkehr in einem Berliner Auktionshaus versteigern lassen. Hierzu sagte er Anfang dieses Jahres in einem Interview mit dem Henryk Berlewi Archive: „Ich hatte meine Sammlung von der Straße und dorthin wollte ich sie zurückgeben. In einem Museumsarchiv oder in einem Museum wären diese Dokumente nur abgelegt worden. Sichtbar für keinen und damit vergessen.“ Das Henryk Berlewi Archive verwaltet einige dieser Dokumente heute als Leihgabe.

Eckhard Neumann wurde am 15. April 1933 in Königsberg geboren. Nach einer Lehre als Plakatmaler studierte er an der Hochschule für Gestaltung in Ulm. 1964 gründete er zusammen mit Wolfgang Sprang das Jahrbuch der Werbung als „Werbung in Deutschland – Jahrbuch der deutschen Werbung“. Das Buch erscheint seitdem im Econ Verlag.

Eckhard Neumann kam wohl „durch Zufall“, wie er sagte, ans Bauhaus. Freunde berichten heute jedoch, sein Interesse sei systematisch gewesen. Im Econ Verlag erschien 1985 das Buch „Bauhaus und Bauhäusler – Erinnerungen und Bekenntnisse“, das kurz und prägnant die Vertreter des Bauhauses auflistet, porträtiert und ihre Haltung zum Bauhaus zitiert. Schlicht – ohne Umschweife. Später war er Werbeleiter der Swissair in Deutschland und lehrte in Mannheim.

In den 60er Jahren veröffentlichte er das Buch „Functional Graphic Design in the 20’s“ (1967), kümmerte sich intensiv um die Anerkennung des Werks von Henryk Berlewi. Verhalf Berlewi zu Kontakten und Ausstellungen in Europa. Mit seinem Beitrag „Mechano-Faktur – ein Beitrag zur funktionalen Grafik der zwanziger Jahre in Polen“ verleiht er in den 60er Jahren Berlewi wieder die Aufmerksamkeit und Beachtung, die er durch Krieg, Verfolgung nicht erlangen konnte. Auch nach dem Tod von Henryk Berlewi, so geht es aus seinem Schriftverkehr hervor, unterstützte Neumann die Mutter Henryk Berlewis, Hel-Enri Berlewi, die den Nachlass bis zu Ihrem Tod verwaltete. Er versuchte Ende der 60er Anfang der 70er Jahre noch für Henryk Berlewi Ausstellungen in Museen und Galerien in Westdeutschland zu werben. Allerdings bestand selbst bei Galerien mit Polenbezug daran nur geringes Interesse. Eckhard Neumann war einer der letzten Zeugen, die noch persönlich mit Berlewi gearbeitet haben. Nach Eberhard Steneberg, Heinz Ohff, Hanns Theodor Flemming, Christian Chruxin und Peter Lufft, die in letzter Zeit verstorben sind, kann kaum noch jemand Zeugnis von Henryk Berlewi geben. Die Berlewi-Forschung wird dadurch erschwert, aber nicht unmöglich. Eckhard Neumann hat viele Zeugnisse hinterlassen, die diese Arbeit unterstützen werden. Zu einem zweiten vereinbarten Gespräch kam es nicht mehr.
Eckhard Neumann sagte 1982 über die erste bekannte, realisierte Arbeit von Stankowski: Das mit Abwandlungen jahrzehntelang verwendete Signet für »Gilde-Muster«-Teppiche sei als Grundriss eines Raumes, in dem ein Teppich liegt, zu verstehen. Als ehemaliger Plakatmaler und Dekorateur muss ihm das direkt aufgefallen sein.

Eckhard Neumann ist am 24. März 2006 laut Todesanzeige in der FAZ vom 01. April 2006 in Frankfurt gestorben und wurde am 13. April 2006 in Frankfurt beigesetzt.

Sebastian Gaiser, Henryk Berlewi Archive, München